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BAG Urteil: Tarifvertragliche Umkleidezeiten müssen auch bei der Entgeltfortzahlung und Urlaubsvergütung berücksichtigt werden

BAG stärkt Arbeitnehmerrechte - Umkleidezeiten zählen auch bei Krankheit und Urlaub 

 

1. Was ist passiert? 

Ein Rettungssanitäter war verpflichtet, während der Arbeit Schutzkleidung zu tragen. Das An- und Ablegen dieser Kleidung erfolgt vor und nach jeder Schicht innerhalb des Betriebs.

Nach dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag erhalten Beschäftigte dafür pauschal 12 Minuten Zeitgutschrift pro tatsächlich geleisteter Schicht auf ihrem Arbeitszeitkonto.

Die Arbeitgeberin gewährte diese Zeitgutschrift aber nur, wenn der Mitarbeiter tatsächlich gearbeitet hat – nicht bei Krankheit oder Urlaub.

Der Kläger war der Ansicht, dass dies gegen den Tarifvertrag und das Entgeltfortzahlungsgesetz sowie das Bundesurlaubsgesetz verstößt. Er forderte deshalb eine nachträgliche Zeitgutschrift von insgesamt 10,4 Stunden – 5,8 Stunden für Krankheit, 4,6 Stunden für Urlaub.


2. Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden? 

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger Recht und stellte klar:

✅ Umkleidezeiten sind Arbeitszeit – auch bei Krankheit und Urlaub

  • Die 12 Minuten pro Schicht sind eine Form von Arbeitsvergütung, da das Umkleiden vorgeschrieben und ausschließlich betrieblich veranlasst ist.
  • Auch bei Krankheit und Urlaub besteht ein Anspruch auf diese Vergütung – in Form einer Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto.

✅ Rechtsgrundlage bei Krankheit: § 3 und § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz

  • Das sogenannte Entgeltausfallprinzip besagt, dass Arbeitnehmer so gestellt werden sollen, als hätten sie gearbeitet.
  • Das umfasst auch die Zeitgutschriften, weil diese Teil des üblichen Entgelts sind.

✅ Rechtsgrundlage bei Urlaub: § 1 Bundesurlaubsgesetz i.V.m. Unionsrecht

  • Auch während des Urlaubs muss die Vergütung so erfolgen, wie sie bei tatsächlicher Arbeitsleistung erfolgt wäre – also inklusive der Umkleidezeit.
  • Das folgt auch aus dem europäischen Recht: Urlaubsentgelt muss „wertgleich“ mit dem normalen Arbeitsentgelt sein.

❌ Die Argumentation der Arbeitgeberin wurde zurückgewiesen

  • Weder der Tarifvertrag noch frühere Klageentscheidungen standen dem Leistungsanspruch entgegen.
  • Auch die Argumentation, dass Umkleidezeit nicht zur „eigentlichen Arbeit“ zähle, wurde nicht anerkannt – das BAG stellte den Vergütungscharakter eindeutig fest.


3. Was bedeutet das für Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber? 

Für Arbeitnehmer:

  • Prüfen Sie Ihre Lohnabrechnungen und Arbeitszeitkonten.
    • Wenn Sie z. B. im Rettungsdienst, Pflegebereich oder öffentlichen Dienst arbeiten und tariflich geregelte Umkleidezeiten haben, so sollten Sie überprüfen, ob  diese auch bei Krankheit und Urlaub berücksichtigt wurden


  • Ansprüche rückwirkend geltend machen:
    • Beachten Sie tarifliche Ausschlussfristen, oft 3 bis 6 Monate – danach können Ansprüche verfallen.
    • Lassen Sie sich frühzeitig anwaltlich beraten.


Für Arbeitgeber:

  • Anpassung der Praxis dringend erforderlich:
    • Wenn tariflich geregelte Umkleidezeiten existieren, müssen diese auch bei Abwesenheit wegen Krankheit oder Urlaub gutgeschrieben werden.


  • Rückforderungen vermeiden:
    • Korrigieren Sie ggf. rückwirkend Arbeitszeitkonten und vermeiden Sie Sammelklagen.


  • Tarifverträge prüfen:
    • Falls andere Regelungen gelten sollen, müssen diese klar, eindeutig und ausdrücklich im Tarifvertrag geregelt sein.


Fazit

Das BAG hat eindeutig entschieden: Vergütungspflichtige Umkleidezeiten sind auch bei Krankheit und Urlaub als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Arbeitgeber müssen Zeitgutschriften in diesen Fällen auf dem Arbeitszeitkonto gewähren. Arbeitnehmer können entsprechende Ansprüche geltend machen – auch rückwirkend, sofern keine Ausschlussfristen abgelaufen sind.


BAG Urteil vom 14.05.2025 - 5 AZR 215/24